Akuter Schmerz hat eine wichtige Warnfunktion. Er führt dazu, dass wir uns bemühen eine (potenziell) schädigende Situation zu verändern. Z.B. ziehen wir die Hand von der heißen Herdplatte zurück, beenden eine sportliche Betätigung, wenn wir uns das Bein gebrochen haben, oder suchen Hilfe, wenn massive Schmerzen im Brustkorb einen Herzinfarkt anzeigen. Der Schmerzreiz (z.B. Verbrennung) wird aufgenommen („Nozizeption“), durch das Nervensystem an das Gehirn weitergeleitet und dort korrekt identifiziert und eingeordnet. (z.B.: Es ist ein ziemlich starker Schmerz am linken Zeigefinger, brennend, es ist besser, den Finger von der Herdplatte zu nehmen, das ist sehr unangenehm, aber es wird auch wieder vergehen, ich soll den Finger in kaltes Wasser halten und schauen, ob eine Blase kommt. Eventuell suche ich einen Arzt auf, wenn ich mich damit auskenne und es nicht gar so arg ist, gebe ich nur einen Schutz drüber und warte ab, es wird schon wieder besser werden. Im Moment bin ich darüber etwas verärgert, traurig, gedämpft, aber ich habe die Aussicht, dass es auch bald wieder heilt, meine Zukunft wird davon nicht beeinflusst werden.)
Wirkt Schmerz länger ein, verliert er einerseits seine Warnfunktion (z.B. wissen wir nach einigen Wochen eh schon, dass mit dem Rücken etwas nicht in Ordnung ist und das MRT haben wir auch schon mit dem Arzt besprochen), andererseits kommt es zu komplexen Veränderungen im schmerzwahrnehmenden und verarbeitenden System, die zu einer Chronifizierung des Schmerzes führen können, obwohl die ursprünglich zugrundeliegenden Ursachen schon wesentlich besser oder ausgeheilt sind. Wir haben also den chronischen Schmerz „gelernt“. „Maladaptive“ Prozesse sind abgelaufen. Im schlimmsten Fall hat der Schmerz eine zentrale Rolle in unserem Leben eingenommen, Stimmung, soziale Kontakte, Freizeitaktivitäten, berufliche Tätigkeiten sind von ihm mehr oder weniger beeinflusst, ja sogar unser Selbstbild und Zukunftsaussichten sind durch den Schmerz verändert. Wir haben eventuell sogar mehr oder weniger das Gefühl, dass wir nichts ausrichten können, gegen den Schmerz. Eventuell haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass auch die Medizin nur begrenzt wirksam ist. In unserer Verzweiflung kann sich sogar die Grundhaltung „es wirkt eh nichts..“ einschleichen.
Zudem können Schmerzen auch durch direkte Schädigung des peripheren oder zentralen Nervensystems auftreten. Man spricht dann vom „neuropathischen Schmerz“. Beispiele wären Polyneuropathien, Nervenkompressionssyndrome, Neuralgien, Schmerzen nach Schlaganfällen, Schmerzen bei Multipler Sklerose usw.
Patienten mit chronischen Schmerzen, egal ob nozizeptiv, maladaptiv, oder neuropathisch können aber durch ein strukturiertes Vorgehen sehr wohl profitieren. Die Ursache des Schmerzes kann festgestellt und eventuell behoben werden. Wenn dies nicht, oder nicht vollständig gelingt, kann der Schmerz oft in seiner Intensität verringert werden, funktionelle Einschränkungen können gebessert werden, begleitende Symptome können behandelt werden und insgesamt kann es gelingen, dem Schmerz seine dominierende Stellung im Leben des Patienten zu nehmen. Letztlich können auch maladaptive Prozesse grundsätzlich wieder umgekehrt werden. Das was einem der chronische Schmerz genommen hat, kann man sich mit viel Ausdauer, Schritt für Schritt, ganz oder teilweise wieder zurückholen.
Polyneuropathien sind generalisierte Erkrankungen des peripheren Nervensystems.
Sie sind insgesamt häufig, am häufigsten sind Polyneuropathien durch Diabetes mellitus oder Alkoholmissbrauch hervorgerufen. Neben diesen beiden Hauptursachen kommen vor allem auch Toxine (Gifte), Medikamente, allen voran Chemotherapeutika in der Krebstherapie, einschließlich moderner Krebsmedikamente als Ursache in Frage.
Außerdem spielen hereditäre (vererbte) Formen und entzündliche Formen von Polyneuropathien eine Rolle.
Schmerz ist ein häufiges Symptom von Polyneuropathien. Für einige Arten von Polyneuropathien, die aber insgesamt nur einen kleinen Teil der Patienten betreffen, bestehen spezifische Therapien. Für die beiden Hauptursachen Diabetes mellitus und Alkoholmissbrauch ist der erste therapeutische Ansatz eine möglichst optimale Diabeteseinstellung und Alkoholabstinenz. Allerdings ist der Erfolg dieses Ansatzes, selbst wenn er erreicht wird, nicht in jedem Fall ausreichend gegeben.
Die Schmerztherapie ist also ein wesentlicher Aspekt im therapeutischen Spektrum bei Polyneuropathien. Dabei gibt es auch in der medikamentösen Therapie klar strukturierte Leitlinienempfehlungen. Wenn mit den Erstlinienmedikamenten keine ausreichende Schmerzbesserung erzielt wird, können cannabisbasierte Medikamente zum Einsatz kommen.
Im Körper bestehen einige Stellen in denen es für Nerven (und auch für andere Strukturen, z.B. Muskeln und Sehnen) an sich schon relativ eng ist.. Aus verschiedenen Gründen, die im Einzelfall auch nicht immer offensichtlich sein müssen, kann es dann auch zu eng werden. Die Folge ist eine Kompression des Nerven mit Reiz- und Ausfallserscheinungen. Meist beginnt die Symptomatik mit Reizerscheinungen. Das sind ein Kribbeln, Ameisenlaufen, Einschlafen im Versorgungsgebiet des Nerven. Diese Mißempfindungen sind oft schmerzhaft. Schmerzen können über das sensible Versorgungsgebiet des Nerven hinausgehen und entlang des gesamten Nerven verlaufen.
Gelegentlich werden die Beschwerden irrtümlich mit einer Wirbelsäulenproblematik verwechselt.
Im weiteren Verlauf kommt es manchmal zu einem Fortschreiten der Symptomatik. Zu den Reizerscheinungen (z.B. Schmerz) kommen Ausfallserscheinungen wie Gefühlsminderung, umschriebene Schwäche und Verschmächtigung bestimmter Muskeln oder Muskelgruppen.
Eine Möglichkeit das Problem zu beheben ist vor allem eine operative Erweiterung der Engstelle durch einen plastischen Chrirurgen, Neurochirurgen oder Orthopäden. Bei manchen Engpassyndromen, z.b. dem Karpaltunnelsyndrom besteht die Operation im Prinzip in der Durchtrennung der einengenden Sehenplatte, was fast immer gut funktionniert. Die Anzahl der Komplikationen und der Mißerfolge ist gering. Eine genauere Aufklärung würde ggf. der Operateur durchführen.
In Anfangsstadien kann vor allem beim Karpaltunnelsyndrom erfolgreich eine Injektion mit einem kristallinen Glucocorticoid (Kortison) angewandt werden. Diese Injektion ist nach meiner Erfahrung sowohl sehr sicher in der Anwendung, als auch im Erfolg, nahezu schmerzfrei und kann ohne viel Aufwand bei mir in der Ordination durchgeführt werden.
Allerdings kommt die Symptomatik sehr oft nach einigen Wochen oder Monaten wieder, reagiert aber auch wieder auf die Injektion. Diese Injektion ist sinnvoll in Frühstadien. Man kann es in jedem Fall ausprobieren, vielleicht kommen die Symptome nicht wieder. Das ist insbesondere möglich, wenn die Ursache der Beschwerden ein vorübergehender Zustand, z.B. eine Schwangerschaft war. Dann hilft oft die Injektion und das Problem kommt nicht mehr. Weiters kann man die Zeit bis zur Operation überbrücken. Letztlich kommt das Vorgehen auch noch bei sehr alten, oder kranken Menschen in Frage, oder bei Menschen, die sich aus anderen Gründen nicht operieren lassen wollen.
In solchen Frühstadien können auch diverse Schienen hilfreich sein. Es kommen auch spontan positive Verläufe vor.
Zur Diagnostik der meisten Engpasssyndrome ist die neurophysiologische Untersuchung (Nervenleitgeschwindigkeit, NLG) hilfreich. Allerdings ist diese Untersuchung nicht für jeden möglicherweise betroffenen Nerv geeignet und in Frühstadien oft negativ. Hier ist die klinische Untersuchung der Reiz- und Ausfallserscheinungen sensitiver. Das heißt, mit der einfachen körperlichen Untersuchung können auch Fälle eindeutig diagnostisch zugeordnet werden, bei denen die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit kein pathologisches Ergebnis gezeigt hat.
Eine weitere neurologische Aufgabe bei der Diagnostik der Engpassyndrome ist es, andere Erkrankungen zu erkennen, die sich manchmal mit den Symptomen eines Engpassyndroms präsentieren (vor allem Polyneuropathien).
Rückenschmerzen sind ein äußerst häufiger Konsultationsanlass. Die erste Aufgabe eines jeden konsultierten Arztes ist es abwendbar gefährliche Verläufe (auch „red flaggs“) zu erkennen. Diese sind aber selten. Wenn man sich als Arzt also sicher ist, dass kein Zustand vorliegt, der auf einen abwendbar gefährlichen Verlauf hinweist, kann mit einer einfachen medikamentösen Schmerztherapie der meist günstige Spontanverlauf abgewartet werden. Mehr oder weniger gezieltes Training kann helfen, ein Wiederauftreten der Schmerzen zu verhindern.
Dauert der Rückenschmerz aber länger als wenige Wochen an (natürlich gibt es auch viele Fälle, bei denen er nach einigen Tagen wieder weg ist), ist eine genauere Aufarbeitung nötig.
Etwa 85% aller Rückenschmerzen sind sogenannte „unspezifsche Rückenschmerzen“, das heißt, dass keine andere Erkrankung (z.b. Bandscheibenvorfall, Wirbelkörpereinbruch, Krebsmetastase, Entzündung, Wirbelkanalenge, schwere degenerativer Veränderung usw.) gefunden wird. Es bedeutet nicht, dass sie keine „Ursache“ haben. Meist ist die Ursache eine funktionelle Veränderung. Die Aussage „die Rückenmuskulatur ist schwach“ kommt dabei der Realität nahe, die aber wesentlich komplexer ist.
Bewegung in irgendeiner Form ist bei Rückenschmerzen im Allgemeinen und unspezifischen Rückenschmerzen im Besonderen meist günstig. Der Goldstandard ist natürlich ein rehabilitatives Konzept, Physiotherapie und medizinische Trainingstherapie. In der Praxis ist das aber nicht immer durchführbar. Ein weniger aufwändiges Training unter fachkundiger Einführung und gelgentlicher Anleitung ist in vielen Fällen ebenfalls eine sehr erfolgversprechende Alternative. In leichteren Fällen kann auch allgemein eine vermehrte Bewegung und Training in Eigenregie gut wirksam sein. Das Wesentliche ist vor allem, dass man es für den Rest seines Lebens macht. Eine sehr liebe und topfitte alte Dame fasste das einmal folgender Maßen zusammen: „Turne bis zur Urne!“
Leider ist es aber auch wieder nicht so einfach. Einfach ist es sowieso nicht, weil die Änderung von Gewohnheiten so schwer ist. Aber obwohl so viele Fälle von Rückenschmerzen „unspezifisch“ also „funktionell“ sind, bleiben leider auch genügend Fälle mit handfester medizinischer Ursache über. Manchmal besteht bei diesen Fällen die Möglichkeit mit einer Operation oder anderen medizinischen Mitteln Abhilfe zu schaffen. Aber auch das geht leider nicht immer, oder nicht immer vollständig. Auch in diesen Fällen bleibt ein multimodales Therapiekonzept und meist medizinische Trainingstherapie und Pyhsiotherapie sinnvoll.
Allerdings wird in diesen Fällen die medikamentöse Schmerztherapie besonders bedeutend. Diese soll strukturiert und leitliniengerecht, aber individualisiert erfolgen und unterscheidet sich von der medikamentösen Therapie der „banalen“ akuten Rückenschmerzen. Insbesondere wenn eine neuropathische Komponente vorhanden ist, kann der Einsatz von cannabisbasierten Medikamenten in Frage kommen.
Neuralgie ist das medizinische Fachwort für „Nervenschmerz“. Allerdings hat es sich eingebürgert, nur bei spezifischen Erkrankungen meist einzelner Nerven, oder Anteilen von Nerven von einer Neuralgie zu sprechen.
Die bekanntesten und häufigsten Neuralgien sind die Trigeminusneuralgie und die Post-Zoster-Neuralgie nach einer Gürtelrose.
Die Trigeminusneuralgie ist durch einen blitzartigen sehr starken Schmerz im Bereich des Versorgungsgebietes des Nervus trigeminus im Unterkiefer-, Oberkiefer- oder Stirnbereich jeweils einseitig gekennkeichnet. Dieser schießt, manchmal ausgelöst durch Reize, wie Kauen oder Luftzug massiv ein und ist nach einigen Sekunden, maximal Minuten wieder vorbei. Allerdings können Attacken auch gehäuft auftreten und massives Leiden verursachen.
Zwischen den Attacken ist die Funktion des Gehirnnervs meist völlig normal, manchmal bleibt eine Gefühlsstörung, im Extremfall auch eine Störung der Kaumuskulatur zurück, die dann auf eine spezifische Ursache für die Nervenschädigung hinweisen.
Meist wird mit Routinemethoden keine Ursache für den Schmerz gefunden, man spricht dann von der „idiopathischen“ Trigeminusneuralgie. Allerdings ist in diesen Fällen häufig eine Kompression des N. Trigeminus durch eine (manchmal erweiterte, oder besonders kaliberstarke) Arterie ursächlich. Eine operative Sanierung ist in diesen Fällen möglich.
Manchmal sind Entzündungen (typisch bei Multipler Sklerose) oder Tumoren der Grund für eine dann „symptomatische“ Trigeminusneuralgie.
Die Therapie trachtet in den seltenen symptomatischen Fällen nach einer Behebung der Ursache und ist sonst primär medikamentös. Wird ein Kontakt zwischen einem Gefäß (meist Arteria cerebelli superior) und dem Nerven nachgewiesen oder vermutet, kann versucht werden, diesen Kontakt und die dadurch entstehende Nervenschädigung operativ zu beheben.
Die Post-Zoster-Neuralgie ist die Folge einer Schädigung eines Nerven durch eine Gürtelrose (Herpes zoster). Hervorgerufen wird diese Erkrankung durch eine Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus (Windpocken, Schafblattern) meist in der Kindheit, die dann nach Jahren bis Jahrzehnten der Latenz zu der Erkrankung führen kann.
Im akuten Stadium ist die Gürtelrose durch in Gruppen stehende Bläschen auf mehr oder weniger entzündetem Grund gekennzeichnet. Das Ausbreitungsgebiet ist dabei fast immer einseitig und umfasst das Gebiet eines, selten mehrerer Nerven oder Nervenwurzeln. Oft geht der Erkrankung schon einige Tage ein brennender Schmerz, oder eine Schmerzempfindung bei normalerweise nicht schmerzhaften Reizen voran. Z.B. wird Bestreichen der Haut, oder Reibung der Kleidung als Brennen empfunden. Man nennt das „mechanische Allodynie“. Die Behandlung erflogt durch Virustatika und Schmerzmittel und eventuell lokaler Behandlung der Hauterscheinungen.
In vielen Fällen heilt die Gürtelrose auch komplikationslos aus, kann aber wiederkommen. Eine Impfung gegen Windpocken oder die Gürtelrose ist verfügbar und empfohlen. Auch nach bereits einmal stattgehabter Gürtelrose ist eine Impfung zur Verhinderung eines oft schlimmeren neuerlichen Auftretens angeraten.
Die gefürchtetste Komplikation der Gürtelrose ist die Post-Zoster-Neuralgie. Dabei können jahrelang nach einer Gürtelrose starke Schmerzen im betroffenen Gebiet bestehen und die Lebensqualität des Betroffenen massiv einschränken. Die Therapie erflogt medikamentös. Ein weiterer Behandlungsansatz, der sehr vielversprechend ist, ist der Einsatz von Capsaicinpflastern in speziellen Zentren. Wie bei jedem neuropathischen Schmerz ist ein „individueller Heilversuch“ cannabisasierter Medikamente möglich.
Die Schädigung des zentralen Nervensystems kann schmerzverarbeitende Strukturen betreffen und dann Schmerzen in bestimmten Körperbereichen bewirken. Dieser zentral neuropathische Schmerz ist abzugrenzen von Schmerzen aufgrund von Spastik oder anderen Veränderungen der Koordination, die durchaus auch mit der Schädigung des Nervensystems einhergehen können.
Neben der Physiotherapie im weitesten Sinne ist eine medikamentöse Therapie sinnvoll. Gerade in diesem Bereich kann der Einsatz cannabisbasierter Medikamente angezeigt sein.