Mein Zugang zur Patientenverfügung
Zur Zeit meines Medizinstudiums machte ich mir keine Gedanken über die Frage, ob die Anwendung meines gerade erworbenen Wissens zur Lebensverlängerung jemals mit der Frage des Patientenwillens verknüpft werden müsste. Für mich war klar, man wird immer alles tun, was das Leben verlängert. Welcher vernünftige Mensch würde denn ein anderes Vorgehen wünschen? Im Curriculum des Medizinstudiums war diese Fragestellung nicht vorgesehen. Vielleicht war sie in freiwilligen Veranstaltungen vertreten. Diese erregten jedenfalls nicht meine Aufmerksamkeit.
Schon in der frühesten Zeit meiner Ausbildung war ich sehr an Intensivmedizin interessiert und hatte auch viel Gelegenheit auf Intensivstationen zu arbeiten. Mein Hauptinteresse lag natürlich darin, die Methoden und Fertigkeiten der Intensivmedizin zu erlernen. Aber gerade auf Intensivstationen war ich bald mit der Frage des Sinns unserer Tätigkeit konfrontiert.
Besonders in Erinnerung ist mir ein knapp über 90 Jahre alter Mann, der mit einer Ateminsuffizienz zu uns auf die Intensivstation kam. Es handelte sich um einen Notfall und erst nachdem wir alles Gebotene getan hatten, um sein unmittelbares Sterben zu verhindern, wurde die Krankengeschichte des Mannes langsam bekannt. Er war von mehreren schweren Erkrankungen gezeichnet, Insbesondere war er durch eine Krebserkrankung und Chemotherapie so schwer beeinträchtigt, dass ein Pilz sich in seiner Lunge ausbreiten hatte können, der letztlich zu dem Atemversagen geführt hatte.
Allen Betreuern war bewusst, dass dieser Mann mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Intensivstation nicht mehr lebend verlassen würde. Die eilige Einlieferung auf die Intensivstation, sowie die Prozeduren, die zur intensivmedizinischen Versorgung nötig waren, waren sicher mit einer hohen Belastung des Mannes verbunden und ein menschenwürdiges ruhiges Sterben war damit verpasst worden. Tatsächlich überlebte er unter intensivmedizinischen Maßnahmen noch mehrere Wochen, ohne je wieder das Bewusstsein erlangt zu haben.
Das besonders Tragische an diesem Fall war, dass alle Fakten schon vorher bekannt waren und die Prognose mit größter Wahrscheinlichkeit abzuschätzen war.
Natürlich konnte man schon damals Behandlungen ablehnen, aber es gab die heute vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten noch nicht, zu einem Zeitpunkt, zu dem man noch einwilligungsfähig ist, für den Zeitpunkt zu dem man nicht mehr einwilligungsfähig sein würde, Veranlassungen zu treffen. Und in der ärztlichen Abwägung zwischen Leben oder Tod stand meist die unwidersprochene Entscheidung, alles zu tun, um das Leben zu verlängern. Auch in den Fällen, in denen das für den Patienten mehr Leiden, ohne Aussicht auf längerfristiges Überleben oder gar Heilung bedeutete.
Während meiner Spitalstätigkeit war ich immer wieder mit ähnlichen Fällen konfrontiert. Gerade als Neurologe hatte ich auch regelmäßig Patienten mit Wachkoma zu betreuen.
Auch während meiner Tätigkeit als Totenbeschauarzt musste ich immer wieder feststellen, dass es aufgrund von Fehleinschätzungen zu offensichtlich unsinnigen medizinischen Maßnahmen gekommen war und dadurch den Menschen ein friedlicher Tod vorenthalten worden war.
Auf der anderen Seite wurde ich auch oft Zeuge davon, was ein menschenwürdiger Tod sein kann. Nachdem der unabwendbar bevorstehende Tod erkannt worden war, wurden die letzten Dinge geregelt und der Patient konnte in Ruhe und Frieden, oft in Anwesenheit seiner Angehörigen, aber zumindest in seiner gewohnten Umgebung den letzten Weg gehen.
Ich bin daher sehr froh darüber, dass sich sowohl die Rechtslage, als auch die medizinische Praxis in den letzten Jahren diesbezüglich sehr verbessert haben.
Um ein menschenwürdiges Sterben möglich zu machen sind aber verschiedene Punkte im Voraus zu klären.
Natürlich ist der wichtigste Punkt festzulegen, was man im Falle der nicht mehr gegebenen Einwilligungsfähigkeit möchte und was man nicht möchte.
Der zweite wichtige Punkt ist es festzulegen, wer diese Standpunkt vertreten soll, wenn man dazu nicht mehr in der Lage ist.
Die wichtigsten Mittel zur Klärung dieser Fragen sind im Patientenverfügungsgesetz und im Erwachsenenschutzgesetz geregelt. Es handelt sich dabei um die Patientenverfügung, die Vorsorgevollmacht, den gewählten, gesetzlichen und gerichtlichen Erwachsenenvertreter, sowie den Vorsorgedialog in Pflegeheimen.
Für mich ist es sehr wichtig, die Menschen bei der Klärung dieser Fragen zu unterstützen.
Dazu führe ich die ärztliche Aufklärungen zur Errichtung der Patientenverfügung durch.
Aber auch bei bereits beeinträchtigten Menschen, die z.B. zuhause gepflegt werden, ist oft eine Klärung der Fragen was soll in welchen Situationen getan, was unterlassen werden und wer ist im Falle der eingeschränkten Einwilligungsfähigkeit für die Unterstützung von Entscheidungsfindungen zuständig, vorausschauend sinnvoll.